Radikaler Behaviorismus
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    Die Gewohnheit, in das Innere eines Lebewesens zu blicken, um Verhalten zu erklären, führte dazu, die Variablen zu verdecken, die unmittelbar für eine wissenschaftliche Analyse zur Verfügung stehen. Diese Variablen liegen außerhalb des Organismus in seiner unmittelbaren Umwelt und in seiner Geschichte. Sie haben einen physikalischen Status, auf den die gewöhnlichen wissenschaftlichen Methoden angewendet werden können, und sie machen es möglich, Verhalten so zu erklären, wie andere Forschungsgegenstände in der Wissenschaft erklärt werden. Diese unabhängigen Variablen (Ursachen) sind sehr unterschiedlich und ihre Beziehungen zum Verhalten sind oft subtil und komplex, aber wir können nicht hoffen, einen angemessen Erklärungsansatz des Verhalten zu geben, ohne sie zu analysieren.

                             B. F. Skinner (1953). Science and Human Behavior, S. 31

Der Radikale Behaviorismus ist nach seinem Begründer B. F. Skinner die Philosophie einer bestimmten Verhaltenswissenschaft, der experimentellen Verhaltensanalyse (Experimental Analysis of Behavior). Skinner plädiert für eine Erforschung des Verhaltens “in its own right” und lehnt die Bezugnahme auf Konzepte anderer Wissenschaften wie der Physiologie (nonphysiologistisch) ab, die sich seiner Meinung nach auf einer anderen Ebene befinden und in einer Verhaltenswissenschaft nicht benötigt werden. Besonders vehement sprach er sich gegen sogenannte mentalistische Erklärungsansätze durch Konzepte wie den “Geist”, das “Bewußtsein” oder den “Willen” aus (antimentalistisch). Nach Skinners Meinung erkläre der Mentalismus nichts, sondern verdecke nur die Variablen, von denen Verhalten tatsächlich eine Funktion sei. Mentales existiere nur in Form von Metaphern und erfundenen Begriffen oder sei Verhalten, das nur nicht als solches erkannt wird. Die Unterscheidung in beobachtbare (öffentliche) und unbeobachtbare (private) Ereignisse wie im Methodologischen Behaviorismus wird zwar ebenfalls vorgenommen, doch wird ein Ausschluß unbeobachtbarer Ereignisse oder die Verwendung theoretischer Konzepte zur Erklärung beobachtbarer Ereignisse abgelehnt.

Verhalten ist für radikale Behavioristen von äußeren Variablen abhängig und muß deshalb auf sie zurückgeführt werden.Unter Verhalten wird alles verstanden, was Organismen tun, also auch Sprechen, Denken, Fühlen, Sehen usw., die als verdeckte (covert) Verhaltensweisen im Gegensatz zu offenen (overt) Verhaltensweisen aufgefaßt werden. Dieser Aspekt weist auf die Bezeichnung “radikaler Behaviorismus” für Skinners Philosophie hin, denn es handelt es sich um einen umfassenden Behaviorismus, der alles, was Organismen tun, als Verhalten auffasse, und daher nichts als prinzipiell durch ihn nicht erklärbar ausschließen müsse. Zwischen offenen und verdeckten Verhaltensweisen wird ein kontinuierlicher Übergang angenommen und die Unbeobachtbarkeit mancher verdeckter Verhaltensweisen nicht als Hinweis gewertet, daß sie mental sind. Stattdessen wird angenommen, daß verdeckte Verhaltensweisen nach den gleichen Gesetzen von Umweltvariablen abhängen wie offene Verhaltensweisen.

Für radikale Behavioristen wird Verhalten v.a. durch Operante Konditionierung geformt und hängt in erster Linie von Verstärkern ab, obwohl die Existenz angeborenen und klassisch konditionierten Verhaltens nicht geleugnet wird. Eine triebreduktionistische Erklärung der Verstärkung, wie sie von Hull favorisiert wurde, wird nicht vertreten, sondern der Verstärkerbegriff rein formal definiert: Ein Verstärker ist ein Reiz, der auf eine Reaktion folgt und die Auftretenswahrscheinlichkeit der Klasse von Reaktionen, zu denen die vorangegangene Reaktion gehört, verändert. Die Klassifikation von Reizen und Reaktionen erfolgt anhand der Beziehungen zwischen ihnen. Sie ist deshalb funktional und nicht strukturell oder topographisch, d.h. daß nicht die physikalischen Eigenschaften die Grundlage der Klassifikation bilden. Der Radikale Behaviorismus bezieht auch evolutionsbiologische Überlegungen, v.a. auf das Konzept der Adaptation ein. Verhalten werde selektiert durch

  • die natürliche Selektion
  • den Prozeß der Operanten Konditionierung
  • die kulturelle und soziale Umwelt.

Die erkenntnistheoretische und ethische Position des Radikalen Behaviorismus ist pragmatisch und deshalb auf Effektivität und Effizienz ausgerichtet. Der Pragmatismus des Radikalen Behaviorismus bedeutet, daß Wahrheit und Werte durch die Beziehungen zwischen Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt konstruiert werden. Daraus folgt nicht die Zielsetzung von Unterdrückung oder Ausbeutung von Lebewesen, weil Lebewesen gegen Unterdrückung und Ausbeutung aus natürlichen Gründen Widerstand leisten.

Bedeutende Vertreter

1. Generation

Burrhus F. Skinner (1904 - 1990)

Fred S. Keller

 

2. Generation

Nate Azrin

William K. Estes

A. Charles Catania

Charles B. Ferster (1922-1981)

Richard J. Herrnstein (1930-1994)

William H. Morse

George S. Reynolds

 

3. Generation

William M. Baum, Edmund Fantino, Gene M. Heyman, Philipp Hineline, Peter R. Killeen, James E. Mazur, Frank McSweeney, Albert Neuringer, Howard C. Rachlin (“Teleologischer Behaviorismus”), John E. R. Staddon (“Theoretischer Behaviorismus”), William Vaughan, Peter de Villiers, Ben A. Williams, G. Zuriff

Literaturempfehlungen

Catania, A. C. (2003). B. F. Skinner’s Science and Human Behavior: Its antecedents and its consequences. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 80, 313-320.

Malone, Jr., J. C., & Cruchon, N. M. (2001). Radical behaviorism and the rest of psychology: A review/précis of Skinner's About Behaviorism. Behavior and Philosophy, 29, 31-57.

Zuriff, G. (2001). Philosophy of Behaviorism. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 77, 367-371.


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