Somatoforme Störungen
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Manche Menschen klagen über körperliche Beschwerden, ohne daß in medizinischen Untersuchungen körperliche Ursachen dafür gefunden werden. In diesen Fällen kann es sich um eine psychische Störung aus dem Bereich der Somatoformen Störungen handeln. Bei diesen Störungen sind die körperlichen Beschwerden ausschließlich psychisch bedingt, wobei die Betroffenen ihre Symptome nicht absichtlich hervorrufen (wie bei den Vorgetäuschten Störungen oder der Simulation) und davon überzeugt sind, daß sie körperliche Ursachen haben.

Früher wurden diese Störungen zu den Neurosen gezählt, weil vermutet wurde, daß sie auf unbewußte Konflikte, auf intensive, anhaltende Angst und versagende Abwehrmechanismen zurückgehen. Moderne Klassifikationssysteme wie das DSM-IV verzichten jedoch auf spekulative Vermutungen über mögliche Ursachen und beschreiben hauptsächlich die Symptome. Daher bilden diese Störungen eine eigene Kategorie „Somatoforme Störungen“.

Das DSM-IV unterscheidet folgende somatoforme Störungen:

Im folgenden werden die genannten Störungen kurz beschrieben. Ihre vermuteten Ursachen sowie Behandlungsmöglichkeiten werden auf dieser Seite dargestellt.

Somatisierungsstörung und Undifferenzierte Somatoforme Störung

Die Somatisierungsstörung wurde zuerst 1859 von Pierre Briquet beschrieben und ist daher auch als Briquet-Syndrom bekannt. Bei ihr handelt es sich um ein viele körperliche Beschwerden umfassendes Störungsbild, das von den Betroffenen dramatisch und oft übertrieben dargestellt wird. Die Betroffenen klagen bei Arztbesuchen über eine lange Vorgeschichte körperlicher Beschwerden, die vor dem 30. Lebensjahr einsetzten, mehrere Jahre andauerten und zu erheblichen Einschränkungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führten. Unter die Beschwerden fallen

  1. mindestens 4 Schmerzsymptome (betreffend z.B. Kopf, Abdomen, Rücken, Gelenke, Extremitäten, Brust, Rektum, Menstruation, Geschlechtsverkehr, Urinieren),
  2. mindestens zwei gastrointestinale Symptome außer Schmerzen (z.B. Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen außer während einer Schwangerschaft, Durchfall, Unverträglichkeit von verschiedenen Speisen),
  3. mindestens ein sexuelles Symptom außer Schmerzen (z.B. sexuelle Gleichgültigkeit, Erektions- oder Ejakulationsstörungen, unregelmäßige Menstruationen, sehr starke Menstruationsblutungen, Erbrechen während der gesamten Schwangerschaft),
  4. mindestens ein pseudoneurologisches Symptom außer Schmerzen wie z.B. Koordinations- oder Gleichgewichtsstörungen, Lähmungen oder lokalisierte Muskelschwäche, Schluckschwierigkeiten oder Kloßgefühl im Hals, Aphonie, Harnverhaltung, Halluzinationen, Verlust der Berührungs- oder Schmerzempfindung, Sehen von Doppelbildern, Blindheit, Taubheit, (Krampf-)anfälle; dissoziative Symptome wie z.B. Amnesie oder Bewußtseinsverluste, jedoch nicht einfache Ohnmacht).

Wie bei allen somatoformen Störungen lassen sich die Beschwerden nicht oder bei weitem nicht durch eine medizinische Ursache oder durch Drogeneinnahme erklären.

Bei Menschen mit Somatisierungsstörung können neben der Somatisierungsstörung weitere, z.T. auf sie zurückzuführende Probleme auftreten wie

  • impulsives und antisoziales Verhalten
  • Suiziddrohungen und –versuche
  • Eheschwierigkeiten
  • chaotische und komplizierte Lebensführung
  • Nebenwirkungen, Störungen in Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen durch die Einnahme vieler Medikamente
  • Teilnahme an vielen Untersuchungen, chirurgischen Eingriffen, stationären Behandlungen
  • dadurch erhöhtes Morbiditätsrisiko
  • Komorbiditäten: Major Depression, Panikstörung, Störungen in Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen, Histrionische, Antisoziale und Borderline Persönlichkeitsstörung

Falls nicht alle der oben genannten Kriterien a. bis d. erfüllt sind oder die Beschwerden nicht über Jahre anhielten oder nicht vor dem 30. Lebensjahr begannen, spricht man von einer Undifferenzierten Somatoformen Störung.

Schmerzstörung

Bei der Schmerzstörung klagen die Patienten über Schmerzen in mindestens einer Körperregion, die zu Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen und anderen Lebensbereichen führen. Die Entstehung, Aufrechterhaltung und Verstärkung der Schmerzen wird entweder ausschließlich durch psychische Faktoren oder in Kombination mit einer körperlichen Ursache bedingt. Sind dagegen die Schmerzen allein durch körperliche Ursachen begründet, liegt keine psychische Störung vor. Die Schmerzstörung kann akut sein (unter 6 Monate Dauer) oder chronisch (über 6 Monate Dauer).

Konversionsstörung, Konversionsneurose, Hysterie

Eine Konversionsstörung zeichnet sich durch ein oder mehrere körperliche Symptome oder Defizite aus, welche die Willkürbewegung oder die Sinnesfunktionen (z.B. Sehen, Hören) beeinträchtigen und eine körperliche Ursache nahelegen, stattdessen Ausdruck eines psychischen Problems wie eines Konflikts oder Bedürfnisses sind: Das psychische Problem wird in ein körperliches Symptom umgewandelt. Die Symptome lassen oft an eine neurologische Störung denken, z.B. Lähmung, Anfälle, Blindheit, Anästhesie (Unempfindlichkeit) oder Aphonie (Stimmlosigkeit) und werden daher häufig als „pseudoneurologisch“ bezeichnet. Die Symptome können scheinbar auch auf vegetative, endokrine oder kardiopulmonale Störungen hindeuten.

Die meisten Konversionsstörungen beginnen zwischen der späten Kindheit und dem frühen Erwachsenenalter. Sie werden bei Frauen doppelt so oft diagnostiziert wie bei Männern. Gewöhnlich treten sie plötzlich auf, meist unter extremer psychischer Belastung, und halten wochenlang an. Konversionsstörungen sollen sehr selten sein und bei höchstens drei von je 1000 Personen vorkommen.

Bei Konversionsgestörten kann sich „la belle indifference“ zeigen, d.h. ein relativer Mangel an Betroffenheit gegenüber der Art oder Bedeutung des Symptoms. Die Beschwerden können allerdings auch dramatisch dargestellt werden.

Es werden 4 Subtypen unterschieden:

Mit Motorischen Symptomen oder Ausfällen: Symptome wie Koordinations- oder Gleichgewichtsstörungen, Paralyse oder umschriebene Muskelschwäche, Schluckschwierigkeiten oder Kloßgefühl im Hals, Aphonie und Harnverhaltung

Mit Sensorischen Symptomen oder Ausfällen: Symptome wie Verlust der Berührungs- oder Schmerzempfindung, Sehen von Doppelbildern, Blindheit, Taubheit, Halluzinationen

Mit Anfällen oder Krämpfen: Symptome wie (Krampf-)anfälle oder Krämpfe mit Beteiligung der Willkürmotorik und -sensorik

Mit Gemischtem Erscheinungsbild: Symptome aus mehr als 1 Kategorie

Neben den die Konversionsstörung ausmachenden Beschwerden können weitere körperliche Beschwerden auftreten, aber auch Dissoziative Störungen, Major Depression sowie Histrionische, Antisoziale und Dependente Persönlichkeitsstörung.

Hypochondrie

Bei der Hypochondrie leiden die Betroffenen unter starker Angst oder zumindest der Überzeugung, daß sie an einer ernsthaften Krankheit leiden. Diese Überzeugung beruht jedoch auf einer Fehlinterpretation körperlicher Funktionen wie z.B. gelegentlichem Husten, kleinen Wunden oder Schwitzen. Trotz wiederholter diagnostischer Tests lassen sich hypochondrische Patienten nicht beruhigen. Sie wandern häufig von Arzt zu Arzt, um Hilfe zu erhalten. Manche Patienten wissen im Grunde, daß ihre Sorgen übertrieben sind, andere nicht. Die irrationalen Überzeugungen der Betroffenen sind jedoch niemals von der Qualität, daß sie als wahnhaft eingestuft werden könnten.

Körperdysmorphe Störung

Menschen mit Körperdysmorpher Störung leiden unter der festen Überzeugung, daß sie einen erheblichen Mangel oder gar eine Entstellung im äußeren Erscheinungsbild aufweisen. Sie empfinden bestimmte Körperteile (typisch: Haare, Nase, Busen) als mißgestaltet, während andere Personen diesen vermeintlichen Makel nicht erkennen können. Die Überzeugungen sind extrem und störend und gehen manchmal sogar so weit, daß die Betroffenen anderen Menschen nicht in die Augen schauen können, weil sie überzeugt sind, daß ihre Fehler offen zu tage liegen. Manchmal bemühen sie sich sehr, den Mangel zu verbergen, z.B. indem sie eine Sonnenbrille tragen, um ihre angeblich mißgestalteten Augen zu verbergen oder sich plastischen Operationen unterziehen. Viele Betroffene isolieren sich und weigern sich, außerhäuslichen, beruflichen und anderen Aktivitäten nachzugehen. In den meisten Fällen liegt das Ersterkrankungsalter in der Adoleszenz. Die Störung dauert oft über einen längeren Zeitraum an, wird jedoch nicht diagnostiziert, weil die Betroffenen zögern, über ihre Sorgen zu sprechen und ärztliche Behandlung aufzusuchen.

Nicht Näher Bezeichnete Somatoforme Störung

Mit diesem Begriff werden somatoforme Störungen bezeichnet, deren Symptome nicht denen der oben genannten Kategorien entsprechen. Ein Beispiel stellt die Scheinschwangerschaft dar, bei der es sich um die fälschliche Überzeugung handelt, schwanger zu sein. Diese Überzeugung ist von objektiven Anzeichen einer Schwangerschaft (z.B. vergrößerter Bauch) begleitet, die sich jedoch nicht auf eine medizinische Ursache zurückführen lassen (z.B. Tumor).


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