Persönlichkeitsstörungen
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Unter Persönlichkeit versteht man das bei jedem Menschen vorhandene einzigartige Muster aus zeitlich und situational relativ stabilen Merkmalen, das mit Situationen und Zeitpunkte übergreifenden Konsistenzen im Verhalten und Erleben einhergeht. Trotz dieser relativen Konsistenz weisen Menschen meistens genügend Flexibilität auf, so daß sie ihr Verhalten und Erleben besonderen Situationen und Personen gegenüber anpassen und verändern können. Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ist dies nicht der Fall und zieht Einschränkungen und Schwierigkeiten im Alltag, im Beruf und in sozialen Beziehungen sowie Leiden nach sich. In diesem Sinn wird eine Persönlichkeitsstörung (PS) in DSM-IV als

    "umfassendes, überdauerndes, unflexibles Erlebens- und Verhaltensmuster, das deutlich von den Erwartungen der Kultur des Betroffenen abweicht und zu Leidensdruck oder Behinderung führt",

definiert.

Persönlichkeitstörungen zeigen sich sowohl in der Wahrnehmung, im Denken, in den Stimmungen, den Gefühlen und ihrer Regulation, in der Kontrolle von Handlungsimpulsen als auch im sozialen Bereich. Sie treten meistens erst im frühen Erwachsenenalter voll in Erscheinung, obwohl ihre Ursachen oft viel früher vermutet werden. Sie dauern meistens das ganze Leben an und weisen über lange Zeiträume kaum Veränderungen in ihrer Stärke auf. Da die Betroffenen meistens weniger stark durch eine Persönlichkeitsstörung belastet sind als ihr Umfeld, ist die Motivation zu einer Therapie und damit Veränderung des Verhaltens sehr oft nur gering ausgeprägt.

Die Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen ist im Vergleich zu der anderer Störungen häufiger Änderungen unterworfen. DSM-IV siedelt die Persönlichkeitsstörungen auf Achse II getrennt von den anderen psychischen Störungen (außer Geistige Behinderung) an. Es kennt aktuell 10 Persönlichkeitsstörungen und teilt diese nach deskriptiven Ähnlichkeiten in drei Gruppen ein, die Cluster genannt werden:

Cluster A: Sonderbares oder exzentrisches Verhalten

  1. Paranoide Persönlichkeitsstörung
  2. Schizoide Persönlichkeitsstörung
  3. Schizotypische Persönlichkeitsstörung

Cluster B: Dramatisches, emotionales oder launenhaftes Verhalten

  1. Antisoziale Persönlichkeitsstörung
  2. Borderline Persönlichkeitsstörung
  3. Histrionische Persönlichkeitsstörung
  4. Narzißtische Persönlichkeitsstörung

Cluster C: Ängstliches oder furchtsames Verhalten

  1. Dependente Persönlichkeitsstörung
  2. Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
  3. Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Im Anhang von DSM-IV werden weitere Persönlichkeitsstörungen für die Forschung vorgeschlagen (sogenannte “Anhangsstörungen”):

  • Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung
  • Depressive Persönlichkeitsstörung.

In diesem Bereich kannte DSM-III-R noch

  • Sadistische Persönlichkeitsstörung
  • Selbstschädigende Persönlichkeitsstörung

Als ein Grund für die Schwierigkeiten, eine stabile Klassifikation im Bereich der Persönlichkeitsstörungen zu erreichen, wird oft angeführt, daß persönlichkeitsgestörte Menschen Merkmale verschiedener Persönlichkeitsstörungen aufweisen, u.a.:

  • Paranoide PS: Viele Personen erhalten oft auch die Diagnose einer Borderline oder einer selbstunsicher-vermeidenden PS.
  • Schizoide PS: Hier wird in ca. der Hälfte der Fälle auch die Diagnose einer selbstunsicher-vermeidenden und einer Paranoiden PS vergeben.
  • Schizotypische PS: In ca. der Hälfte der Fälle wird auch die Diagnose einer Paranoiden und einer
  • Schizoiden PS, in einem Drittel der Fälle der Borderline oder einer Narzißtischen PS gestellt.
  • Borderline PS: Es wird in ca. der Hälfte der Fälle auch eine Schizotypische, eine Antisoziale und eine Histrionische PS gesehen.
  • Selbstunsicher-vermeidende PS: Oft wird auch die Diagnose einer Abhängigen oder Borderline PS gestellt.

Da die Symptome verschiedener Persönlichkeitsstörungen in der Regel bei einer Person festgestellt werden und daher eine Trennung der Persönlichkeitsstörungen sehr schwierig ist, ist die DSM-Einteilung in die genannten Cluster umstritten. Störungen innerhalb eines Clusters sind sich auch oft recht ähnlich. Die Merkmale der einzelnen Störungen sind außerdem weniger genau beschrieben als bei anderen psychischen Störungen, was ebenfalls zu einer niedrigeren Übereinstimmung zwischen Diagnostikern bei der Diagnose von Persönlichkeitsstörungen führt. Für DSM-III betrug die Interrater-Reliabilität (Cohens Kappa) im Bereich der Persönlichkeitsstörungen z.B. nur 0,56.

Die Forschung zu den Persönlichkeitsstörungen ging lange Zeit fast ausschließlich von der Tiefenpsychologie aus. Verhaltenstherapeuten und Klinische Psychologen standen dem Konzept der Persönlichkeitsstörung dagegen lange sehr kritisch gegenüber. Von allen Persönlichkeitsstörungen ist v.a. die Borderline PS untersucht. Auch im Therapiebereich liegen für diese Störung die bestgesichertsten Befunde vor. Aus diesem Grund finden Sie im folgenden zu den anderen Persönlichkeitsstörungen nur kurze Beschreibungen, während für die Borderline Persönlichkeitsstörung auch Angaben zu Behandlung und vermuteten Ursachen gemacht werden.

Kurzbeschreibungen der einzelnen Persönlichkeitsstörungen

Paranoide Persönlichkeitsstörung

Menschen mit einer Paranoiden PS zeigen grundsätzliches Mißtrauen gegenüber anderen Menschen und interpretieren deren Motive oft als böswillig. Sie verdächtigen andere ohne ausreichende Belege, sie auszunutzen, zu schädigen oder zu täuschen, und bezweifeln die Loyalität und Vertrauenswürdigkeit ihrer Freunde und Partner. Generell fällt es ihnen schwer, anderen Menschen Vertrauen entgegen zu bringen, weil sie annehmen, daß im Gespräch ausgetauschte Informationen zu böswilligen Zwecken verwendet werden, und sie harmlose Bemerkungen oder Vorkommnisse oft als ihre Person abwertend oder bedrohlich erleben. Sie nehmen oft Angriffe auf sich wahr, die andere nicht so empfinden, reagieren dann sehr schell zornig und sind lange Zeit nachtragend.

Gegenüber Schwächen und Fehlern bei anderen, insbesondere im Arbeitsumfeld, sind Menschen mit dieser Störung sehr kritik, während sie sich selbt als makellos sehen und sich infolgedessen überempfindlich gegen Kritik zeigen. Sie sind streitsüchtig und starrsinnig und können ihre Fehler nicht erkennen. Ihre Mängel projizieren sie auf andere. Oft suchen sie die Schuld für ihre Mißgeschicke oder sogar ihr allgemeines Unglück bei diesen. Die Betroffenen hegen ständig Groll und gefährenden damti ihre Beziehungen zu anderen, einschließlich Autoritätspersonen.

Schizoide Persönlichkeitsstörung

Diese Menschen zeichnen sich durch eine grundlegende Distanziertheit gegenüber anderen Menschen und eine eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeit aus. Sie haben kein Bedürfnis nach engen sozialen Beziehungen und auch keine Freude daran, auch in Bezug auf ihre Familie nicht. Sexuelle Interessen haben sie kaum. Sie sind fast immer Einzelgänger, haben selten enge Freunde und gehen oft Berufen nach, in denen sie mit Menschen nur wenig Kontakt haben. Freude empfinden sie nur bei wenigen Aktivitäten. Gegenüber Lob und Kritik erscheinen sie gleichgültig und geben nach außen ein Bild von emotionaler Kälte und Distanziertheit ab.

Schizotypische Persönlichkeitsstörung

Bei der Schizotypischen Persönlichkeitsstörung liegen erhebliche Defizite im sozialen Bereich vor. Die Betroffenen fühlen sich in engen sozialen Beziehungen unwohl und haben Schwierigkeiten, solche Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Daneben zeigen diese Menschen Auffälligkeiten in der Wahrnehmung, im Denken und im Verhalten. Häufig weisen sie Beziehungsideen auf, d.h. sie beziehen Dinge auf sich, die mit ihnen nichts zu tun haben. Sie hegen im Vergleich zu der Kultur, in der sie leben, seltsame und auch magische Überzeugungen, sind abergläubisch oder glauben an außersinnliche Fähigkeiten wie Hellsehen und Telepathie. Außerdem haben sie ungewöhnliche Wahrnehmungen und erleben auch körperliche Illusionen, wie z.B. das Spüren einer äußeren Kraft, die wissenschaftlich nicht nachweisbar ist. Ihre Denk- und Sprechweise ist ungewöhnlich, z.B. kann sie uneindeutig, aber auch übergenau, metaphorisch oder auch stereotyp sein. Menschen mit Schizotypischer PS können gegenüber anderen Menschen mißtrauisch sein oder auch paranoide Gedanken haben. Ihr Gefühlsausdruck ist oft unangemessen oder eingeschänkt. Verhaltensweisen oder äußere Erscheinung werden als seltsam oder exzentrisch beschrieben. Ihre sozialen Beziehungen sind durch eine starke soziale Angst geprägt, die auch nicht abnimmt, wenn die Beziehungen enger werden. Die soziale Angst hängt oft mit paranoiden Gedanken zusammen. Aufgrund ihrer sozialen Schwierigkeiten haben sie nur wenige Freunde und vertrauen selten anderen Menschen als ihren engsten Verwandten.

Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Menschen mit Antisozialer PS werden häufig als Psychopathen oder Soziopathen beschrieben. Es gibt allerdings in der Forschung Auffassungen über Unterschiede zwischen einer reinen Antisozialen PS und den Konzepten der Psychopathie oder Soziopathie. Menschen mit Antisozialer PS mißachten und verletzen die Rechte anderer oft in schwerer und rücksichtsloser Weise. Sie passen sich nicht gesellschaftlichen Normen und den Gesetzen an, was zu Verhaftungen führen kann. Ihr Verhalten ist durch häufiges Lügen, den Gebrauch von Decknamen und dem Ausnutzen, Täuschen und Betrügen anderer Menschen, auch ihrer Sexualpartner, zum eigenen Vorteil geprägt. Sie sind oft impulsiv, können schwer vorausschauend planen. Sie sind auch schnell reizbar und aggressiv und werden daher oft in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Ihre Rücksichtslosigkeit geht soweit, daß das Leben anderer und auch ihr eigenes stark gefährdet sein kann. Es ist Menschen mit Antisozialer PS kaum möglich, einer dauerhaften Beschäftigung nachzugehen, längere sexuelle Beziehungen aufrechtzuerhalten oder ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. In Bezug auf ihre Taten fehlt ihnen die aufrichtige Reue, so daß sie ihren Taten oft mit Gleichgültigkeit gegenüber stehen bzw. diese mit Scheinargumenten rechtfertigen, auch wenn sie andere Menschen gekränkt, mißhandelt, mißbraucht oder bestohlen haben.

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung sind übertrieben emotional, affektiert und streben danach, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Andernfalls fühlen sie sich unwohl. Im sozialen Austausch sind sie oft unangemessen sexuell verführerisch oder zeigen provokantes Verhalten. Dazu setzen sie sehr häufig ihren Körper ein, dramatisieren ihre eigene Person, sind theatralisch und übertreiben ihren Gefühlsausdruck. Ihre Emotionen wechseln dabei aber sehr rasch und sind oft nur oberflächlich. Menschen mit histrionischer PS sind oft leichtb beeinflußbar. Sie fassen Beziehungen zu anderen Menschen auch oft enger auf, als sie es tatsächlich sind.

Narzißtische Persönlichkeitsstörung

Bei Menschen mit Narzißtisches PS fällt v.a. ihr Bedürfnis nach Bewunderung, ihre Ideen eigener Größe und ihr Mangel an Empathie auf. Die Betroffenen fühlen sich sehr wichtig, was sich daran zeigen kann, daß sie ihre eigenen Leistungen und Talente übertreiben oder daß sie erwarten, ohne die angemessenen Leistungen gezeigt zu haben, als überlegen betrachtet zu werden. Sie phantasieren häufig über großen Erfolg, Macht und Schönheit, glauben an ihre Einzigartigkeit und Besonderheit, weswegen sie sich nur durch wenige besondere Personen oder Institutionen verstanden oder erkannt fühlen und arrogant gegenüber anderen auftreten. So verlangen sie Bewunderung und bevorzugte Behandlung. Menschen mit Narzißtischer PS nutzen andere Menschen oft aus, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Sie können sich auch nur schwer in andere hineinversetzen oder wollen dies nicht. Außerdem sind sie oft neidisch oder glauben, daß andere neidisch auf sie sind. Bei Kritik und Frustration werden sie oft wütend, können aber auch tiefe Scham und Gefühle der Leere entwickeln. Wenn diese Erlebnisse häufiger auftreten, können sich Menschen mit Narzißtischer PS sehr stark aus sozialen Beziehungen zurückziehen und depressive Symptome entwickeln.

Dependente Persönlichkeitsstörung

Diese Menschen streben sehr stark danach, versorgt zu werden, und zeigen stark unterwürfiges und anklammerndes Verhalten. Sie weisen auch starke Trennungs- und Verlustängste auf. In alltäglichen Situationen haben sie Schwierigkeiten, allein Entscheidungen zu fällen, und holen lieber umfassende Ratschläge ein. Ihnen fällt es schwer, Unternehmungen selbst zu beginnen und durchzuführen. Die Verantwortung für wichtige Lebensbereiche wie Beruf, Finanzen, Freizeitaktivitäten geben sie gewöhnlich an andere Menschen ab. Um versorgt zu werden und die Zuwendung von anderen zu erlangen, nehmen Menschen mit dieser Störung viele Einschränkungen in Kauf und übernehmen auch freiwillig ihnen stark unangenehme Tätigkeiten. Sie haben große Schwierigkeiten, eine andere Meinung zu vertreten als andere Menschen, weil sie befürchten, deren Unterstützung und Zustimmung zu verlieren. Oft werden sie von einer übertriebene Angst beherrscht, die sie versorgenden Menschen zu verlieren und sich selbst versorgen zu müssen. Wenn sie verlassen werden, suchen sie sehr schnell in intensiver Weise nach einer Person, welche die Versorgerrolle übernimmt.

Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

Menschen mit dieser Störung sind sozial stark gehemmt, fühlen sich minderwertig, zu nichts nutze und sind sehr empfindlich gegenüber negativer Kritik. Daher vermeiden sie oft berufliche Tätigkeiten, bei denen sie enger mit anderen Menschen zusammenarbeiten müssen und gehen nur zögernd zwischenmenschliche Beziehungen ein. Die Furcht, kritisiert oder abgelehnt zu werden, nimmt ihre Gedanken und ihr Verhalten stark ein und hemmt sie in sozialen Situationen. Menschen mit Vermeidend-selbstunsicherer PS fühlen sich sozial unbeholfen, persönlich unattraktiv und anderen gegenüber unterlegen.

Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Menschen mit Zwanghafter PS sind sehr auf Ordnung bedacht, perfektionistisch und rigide in ihrem Verhalten. Sie beschäftigen sich übermäßig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen, so daß der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität dabei verlorengeht. Ihr Perfektionismus behindert oft die Erledigung ihnen übertragender Aufgaben. Teamarbeit fällt ihnen schwer, wenn die anderen nicht die eigene Arbeitsweise übernehmen. Die Delegation von Aufgaben an andere kommt für sie aber auch in der Regel nicht in Frage. Sie widmen ihr Leben v.a. der Arbeit und gehen selten Freizeitaktivitäten nach. Freundschaften pflegen sie kaum. In moralischer und ethischer Hinsicht sind Menschen mit dieser Störung übermäßig gewissenhaft und rigide. Auch können sie nur schwer, abgenutzte und wertlose Gegenstände wegwerfen, sogar dann nicht, wenn sie keinen emotionalen Wert mehr besitzen. In finanzieller Hinsicht herrscht Geiz gegen sich selbst und andere vor. Geld wird gehortet, um sich auf befürchtete Katastrophen vorzubereiten.

Borderline Persönlichkeitsstörung

Der Begriff "Borderline" geht auf den Psychiater Alfred Stern zurück, der ihn 1938 zur Bezeichnung von Störungen einführte, die man nicht in die beiden Gruppen der Neurosen und Psychosen einordnen konnte und die man quasi auf der "Grenzlinie" (Borderline) zwischen Neurosen und Psychosen liegend ansah. Man ging von einem Kontinuum von psychischer Normalität, Neurosen und Psychosen aus und Borderline markierte eben die Grenze zwischen Neurosen und Psychosen. Der Begriff war allerdings unklar, nebulös und schillernd. Man sprach auch von "pseudoneurotischer Schizophrenie" oder "präschizophrener Persönlichkeitsstruktur".

Die Situation änderte sich mit den Arbeiten des Psychoanalytikers Otto F. Kernberg, der 1967 den Begriff "Borderline" für ein gestörtes Persönlichkeitsmuster prägte. Kernberg sprach sich dafür aus, daß dieser Begriff "nur auf solche Patienten angewendet werden (sollte), bei denen eine chronische Charakterorganisation besteht, die ihrer Art nach weder typisch neurotisch noch typisch psychotisch genannt werden kann und die gekennzeichnet ist durch

  • bestimmte typische Symptomkomplexe
  • eine typische Konstellation von Abwehrmechanismen des Ichs
  • typische Störungen im Bereich der verinnerlichten Objektbeziehungen
    und schließlich
  • charakteristische genetisch-dynamische Besonderheiten."

Diese Auffassung verdrängte den bis dahin ungenauen Gebrauch des Begriffs "Borderline" und führte 1980 zur Aufnahme der "Borderline Persönlichkeitsstörung" in das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen III (DSM-III). Damals definierte die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) die Borderline Persönlichkeitsstörung (Borderline PS) folgendermaßen

    "Das Hauptmerkmal ist eine Persönlichkeitsstörung mit Instabilität in vielen Bereichen, einschließlich des zwischenmenschlichen Verhaltens, der Stimmung und des Selbstbildes. Kein einzelnes Merkmal ist immer vorhanden. Zwischenmenschliche Beziehungen sind vielfach intensiv, aber instabil mit erheblichen Schwankungen der Einstellung im Laufe der Zeit. Häufig kommt impulsives und unberechenbares Verhalten vor, das potentiell selbstschädigend ist. Die Stimmung ist oft instabil, mit ausgeprägten Schwankungen von einer normalen zu einer dysphorischen Gestimmtheit mit inadäquaten, heftigem Zorn oder mangelnder Kontrolle über den Zorn. Eine tiefgehende Identitätsstörung kann sich in Unsicherheit in verschiedenen Bereichen zeigen, die mit Selbstbild, Geschlechtszugehörigkeit oder langfristigen Zielen und Werten zusammenhängen. Es kann schwer fallen, das Alleinsein zu ertragen, auch können chronische Gefühle von Leere oder Langeweile bestehen."

In den jüngeren Fassungen des DSM (DSM-III-R, 1987, und DSM-IV, 1994) wurde diese Definition nicht grundlegend geändert. So sieht DSM-IV die Borderline Persönlichkeitsstörung als ein

    "tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität".

Zur Diagnose müssen mindestens 5 der folgenden 9 Kriterien erfüllt sein:

  • Die Person bemüht sich verzweifelt, nicht verlassen zu werden, gleichgültig, ob die Gefahr des Verlassenwerdens real besteht oder nicht.
  • Die Person hat intensive, aber instabile soziale Beziehungen, wobei die Beziehungspartner manchmal idealisiert und manchmal abgewertet werden.
  • Die Person weist eine überdauernde und starke Instabilität ihres Selbstbildes und ihrer Selbstwahrnehmung auf.
  • Die Person zeigt impulsives Verhalten in mindestens 2 Bereichen (Finanzen, Sexualität, Drogen, Autofahren, Nahrungsaufnahme).
  • Die Person zeigt häufiger suizidales, parasuizidales oder selbstverletzendes Verhalten.
  • Die Person weist eine hohe situationale Abhängigkeit und daher Instabilität ihrer Stimmung auf.
  • Die Person weist ein chronisches Gefühl der Leere auf.
  • Die Person hat häufig Wutausbrüche, fühlt sich dauernd wütend oder ist häufig in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt.
  • Bei der Person treten zeitweise paranoide oder schwere dissoziative Symptome aufgrund von Belastungen auf.

Erklärungsansätze für das Entstehen der Störung gibt es mehrere. Drei von ihnen sollen erwähnt werden:

Psychodynamischer Ansatz: Objektbeziehungstheorie

Die Objektbeziehungstheorie ist ein modernerer Ansatz innerhalb der Psychoanalyse, deren führender Vertreter der Analytiker Otto F. Kernberg ist. Grundlegende Annahme der Objektbeziehungstheorie ist, daß die Beziehungen von Menschen zu sich selbst und zu anderen Personen intrapsychisch repräsentiert sind. Als Selbst-Repräsentanzen werden die intrapsychisch repräsentierten Beziehungen zu sich, als Objekt-Repräsentanzen die intrapsychisch repräsentierten Beziehungen zu anderen Personen bezeichnet. Beide sind wichtig für den Aufbau und das Aufrechterhalten eines Selbstwertgefühls. Durch eine suboptimale Entwicklung der Selbst- und Objektrepräsentanzen kann es zu Problemen mit dem Selbstwert und zur Entstehung von psychischen Störungen kommen.

Im Hinblick auf die Borderline Persönlichkeitsstörung nehmen Objektbeziehungstheoretiker an, daß die Betroffenen von Geburt an grundlegende Probleme mit der Steuerung ihrer Emotionen in zwischenmenschlichen Beziehungen haben. Kommt es bei diesen Personen in der frühesten Kindheit (bis zum 3. Lebensjahr) zu traumatischen Erlebnissen, entsteht die Borderline Persönlichkeit als Schutz für den eigenen Selbstwert. Bei den Merkmalen der Borderline Persönlichkeitsstörung handelt es sich dieser Theorie zufolge also um eine Schutzreaktion auf traumatisierende Erfahrungen in der frühesten Kindheit bei Personen, die konstitutionelle Probleme in der Emotionsregulation haben.

Die Schutzreaktion (Abwehr in der psychoanalytischen Terminologie) bei Borderline Patienten besteht in der Aufrechterhaltung einer strikten Trennung zwischen den Erlebensqualitäten “lustvoll” und “unlustvoll” oder “gut” und “böse” (sogenannte Spaltung): Es wird angenommen, daß die Betroffenen - anders als Psychotiker - zwar zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen unterscheiden können, diese Repräsentanzen aber streng in positive und negativ erlebte getrennt werden. Folge davon ist, daß Borderline Patienten die positiven und negativen Aspekte von zwischenmenschlichen Beziehungen nicht integrieren können. Eine bestimmte Beziehung zu einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt kann von ihnen nur als entweder gut oder böse erlebt werden. Diese theoretische Annahme deckt sich gut mit der Beobachtung, daß Borderline Patienten häufig ausgeprägte Dichotomien in ihrem Denken und Erleben aufweisen (“Schwarz-Weiß”-Denken).

Die angenommenen Ereignisse wie Vernachlässigung und Zurückweisung sowie grob unangemessenes Verhalten wurden tatsächlich häufiger bei Borderline-Patienten gefunden. Es wurden auch mehr Scheidungen oder Todesfälle, besonders während der frühen Kindheit der Patienten entdeckt. Die Eltern werden als gleichgültig, kontrollierend und manchmal als bösartig beschrieben. Einige Studien fanden auch eine hohe Prävalenz von Kindesmißhandlung- und -mißbrauch einschließlich Inzest, was in Zusammenhang mit der höheren Prävalenz der Störung bei Frauen steht, weil auch Frauen häufiger sexuelle mißbraucht werden als Männer.

Biologischer Ansatz

Auf biologischer Ebene wurde ein  Zusammenhang zwischen der Impulsivität (Suizidversuche, Aggressivität) und einer niedrigen Serotoninaktivtät im Gehirn gefunden. Außerdem wurden REM-Schlaf-Veränderungen entdeckt, die denen von Depressiven ähneln (also verminderte REM-Latenz). Die bei Borderline manchmal auftretenden vorübergehenden psychotischen Symptome wurden in Zusammenhang mit einer veränderten Dopaminaktivität gebracht. Die Prävalenz von Borderline-Störungen unter nahen Verwandten eines Borderliners ist um das 5fache gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht, was möglicherweise auf eine genetische Prädisposition für Borderline PS hinweist.

Biosoziale Theorie

Es wird angenommen, daß bei Personen, die später eine Borderline Persönlichkeitsstörung zeigen, seit der frühen Kindheit die Gefühlsregulation auf psychophysiologischer Ebene gestört ist. Zusätzlich werden konstitutionelle Defizite, z.B. im Bereich der Intelligenz angenommen. Wenn ein Kind mit solchen Mängeln in seiner Familie nicht fürsorgend behandelt, sondern im Gegenteil mißhandelt oder sexuell mißbraucht wird, wie es bei Personen mit Borderline PS häufig der Fall ist, soll eine andauernde emotionale Verwundbarkeit bei gleichzeitig vorliegenden defizitären Bewältigungsstrategien entstehen. Die Betroffenen reagieren z.B. mit selbstverletzenden Verhaltensweisen wie dem "Ritzen" oder zeigen dissoziative Symptome wie Depersonalisation und Derealisation, um die eigenen emotionalen Spannungen abzubauen.

Therapie der Borderline Persönlichkeitsstörung

Im Hinblick auf die Therapie der Borderline Persönlichkeitsstörung kann man zwischen mehreren Verfahren unterscheiden. Relativ neu und im Vergleich zu anderen Therapieverfahren ziemlich erfolgreich ist die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) von Marsha M. Linehan. Diese Therapie stellt eine Kombination aus klientenzentrierter Empathie und verhaltensorientierten Problemlösemaßnahmen dar. Ein wichtiges Element ist das Verständnis des Therapeuten für die Borderline-Persönlichkeit und ihre Schwierigkeiten. Auf empathische Weise soll dennoch versucht werden, die Ansichten der Betroffenen zurechtzurücken, wobei die dysfunktionalen Verhaltensweisen als Bestandteil der Persönlichkeit der Betroffenen faktenorientiert hingenommen werden. Bei konkreten Probleme werden Lösungen erarbeitet: effektiver und sozial angemessener mit Alltagsproblemen umgehen, Emotionen kontrollieren, zwischenmenschliche Fertigkeiten verbessern. Mehr Informationen zu dieser Therapie finden Sie auf dieser Seite des Universitätsklinikums Kiel.


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