Frühphase
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In der Frühphase veröffentlichte Hull in seinen ersten Artikeln in der Psychological Review seine Konzeptualisierung einer Verhaltenstheorie, die ausschließlich über Reiz-Reaktions-Ketten das Verhalten von Organismen zu erklären versucht. Das durchgängige Erklärungsprinzip ist die Assoziation durch Klassische Konditionierung.

Hull ging in seiner Argumentation davon aus, daß die Umwelt in einer Abfolge von Reizen strukturiert ist, von denen jeder eine Reaktion bei einem Organismus hervorruft, sofern der Organismus ihnen ausgesetzt ist:

Die Abbildung zeigt, wie jeder Umweltreiz S eine bestimmte Reaktion R des Organismus hervorruft, ohne daß von Seiten des Organismus ein Zusammenhang zwischen seinen Reaktionen besteht. Wenn sich jedoch eine bestimmte Reiz-Reaktions-Kette mehrmals wiederholt, dann laufen verschiedene Prozesse ab, durch die der Organismus Wissen über die Umwelt gewinnt. Einer dieser Prozesse ist das Auftreten von reaktionsinduzierten propriozeptiven Feedbackreizen. Diese organismusinternen Reize s entstehen durch das Auftreten der von außen beobachtbaren Reaktionen R und sind gewöhnlich selbst nicht beobachtbar, können aber über physiologische Methoden gemessen werden. Wichtig an diesen Reizen ist, daß sie mit Reaktionen assoziiert werden können (dünne Pfeile).

Da Hull annahm, daß alle Reize, die während eines bestimmten Zeitpunkts vorhanden sind, die ihnen nachfolgenden Reize bei erneutem Auftreten hervorrufen können (Reintegrationsprinzip), folgte daraus, daß die propriozeptiven Feedbackreize s die Reaktionen R selbst in Abwesenheit der Umweltreize auszulösen vermögen und damit die Reaktionskette von allein weiterlaufen kann, sobald sie einmal angestoßen wurde:

Beeinflußt von der evolutionsbiologischen Annahme, daß Organismen bestrebt sind, ihre energetischen Kosten zu minimieren, schloß Hull, daß Reaktionen R in ihrer Intensität stark abnehmen, wenn es ihre einzige Funktion ist, propriozeptive Reize s zu erzeugen (z.B. R2, R3, R4 in der oberen Abbildung), damit eine Verhaltenskette aufrechterhalten werden kann (“pure stimulus act”). Die Folge dieses Prozesses sollen von außen nicht beobachtbare Reiz-Reaktions-Ketten sein, die Hull als rudimentäre Formen des Denkens ansah.

Bei ihren Tierexperimenten beobachtet man häufig, daß die Versuchstiere bereits vor Erhalt der Futterbelohnung typische Verhaltensweisen zeigen, die normalerweise das Fressen begleiten (z.B. Speichelabsonderung). Solche Verhaltensweisen stellten eine besondere Herausforderung für S-R-Theorien dar, weil sie als Beleg für die Zielgerichtetheit von Verhalten galten und gegen die rein mechanische Abfolge von Reiz-Reaktions-Ketten zu sprechen schienen. Hull entwickelte zur Erklärung dieses Verhalten eine Theorie, die in Einklang mit S-R-theoretischen Prinzipien stand. Den mit der Futterbelohnung verknüpften Reiz nannte er SG (goal stimulus), die Nahrungsaufnahme RG (goal response). Seine dahin entwickelte Verhaltenstheorie lieferte ein Erklärungsmodell, wie das Verhalten des Organismus bis zum Auftreten von SG und das Zeigen der RG ablief. Zur Erklärung der schon vor Auftreten des SG vorhandenen Reaktionen rG, die normalerweise die Nahrungsaufnahme begleiten, nahm Hull an, daß während des gesamten Ablaufs der Verhaltenskette ein motivationaler Reiz SD vorhanden ist, der aus einem konstant vorhandenen motivationalen Zustand des Organismus resultiere (z.B. Hunger). Da dieser Reiz auch bei Auftreten des SG vorhanden ist, wird er zum konditionierten Stimulus der Zielreaktion RG. Aufgrund seines ständigen Vorhandensein löst er aber nicht nur zum Schluß der Verhaltenskette eine konditionierte Reaktion rG aus, sondern während des gesamten Ablauf der Verhaltenskette. Zudem folgen den konditionierten Reaktionen rG wiederum  propriozeptive Reize sG, die sowohl die ihnen nachfolgenden rG auslösen können als auch die Reaktionen R , so daß parallel zu der von Umweltreizen beeinflußten Verhaltenskette eine von dem motivationalen Zustand herrührende Verhaltenskette sogenannter antizipatorischer Zielreaktionen entsteht

Eine weitere Herausforderung für S-R-Theorien stellte die Vielfalt von Verhaltensweisen dar, mit denen Organismen auf Umweltreize reagierten. Hull entwickelte zur Erklärung dieser Vielfalt den Mechanismus der “Habitfamilienhierarchie”, die sich aus zwei Teilmechanismen zusammensetzt:

Hull nahm an, daß ein Reiz nicht nur eine Reaktion hervorrufen kann, sondern eine Reihe von unabhängigen Reaktionstendenzen, wobei jedoch die Umsetzung nur einer Reaktionstendenz in eine Reaktion möglich ist. Diesen sogenannten divergenten Mechanismus (siehe Abbildung links) stellte er grafisch durch eine Strahlen dar, die von einem Reiz ausgingen und zu bestimmten Reaktionen führten.

Andererseits nahm er an, daß gemäß eines konvergenten Mechanismus (siehe Abbildung unten) mehrere Reize eine bestimmte Reaktion auslösen können, so daß nach Verknüpfung eines bestimmten Reizes mit einer bestimmten Reaktion auch andere Reize desselben Mechanismus diese Reaktion auslösen können.

Die Kombination beider Mechanismen stellt die von Hull vorgeschlagene “Habitfamilienhierarchie” dar. Die Länge der einzelnen Verknüpfungen zeigt dabei die exzitatorische Stärke der Reiz-Reaktions-Kette bei Anwesenheit des Ausgangsreizes an, d.h. wie wahrscheinlich es ist, daß eine bestimmte Reiz-Reaktions-Kette von den vielen möglichen Ketten aktiviert wird. Durch das Konzept der “Habitfamilienhierarchie” gelang es Hull im Rahmen einer S-R-Theorie einen Mechanismus zu postulieren, mit dessen Hilfe die Vielfalt des Verhaltens erklärt werden kann. Denn wenn in einer bestimmten Situation die sonst am wahrscheinlichsten auftretende Reaktion aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, so können eine Reihe alternativer Reiz-Reaktions-Ketten ablaufen, die zu der gleichen Zielreaktion führen.

Beispiel für eine Habitfamilienhierarchie (Abbildung aus Hull, 1934a)

Literaturempfehlungen:

Hull, C. L. (1934a). The concept of the habit-family hierarchy and maze learning: Part I. Psychological Review, 41, 33-54.

Hull, C. L. (1934b). The concept of the habit-family hierarchy and maze learning: Part II. Psychological Review, 41, 134-152.

Hull, C. L. (1935). The conflicting psychologies of learning -- A way out. Psychological Review, 42, 491-516.


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