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In jüngerer Zeit gibt es Forschungsbemühungen, das Matching Law und verhaltensbiologische Optimalitätsmodelle miteinander zu kombinieren. In diesem Zusammenhang steht meine 2002 abgeschlossene Diplomarbeit “Versuch einer Synthese von Matching Law und ideal freier Verteilung. Mathematisches Modell und empirischer Test”
, in der ich einen Ansatz zur Kombination des Matching Laws mit dem verhaltensökologischen Modell der ideal freien Verteilung vorschlug und empirisch untersuchte.Die Verhaltensökologie ist ein Zweig der biologischen Verhaltenswissenschaft, in der das Verhalten von Organismen - also auch von Menschen - in Abhängigkeit von Kosten- und Nutzenrelationen
und ihrem Bezug zu Umweltfaktoren analysiert wird (siehe z.B. Krebs & Davies, 1996, für eine Einführung). Die Grundannahme ist, daß Organismen entstanden sind, die sich optimal verhalten sollten. Optimalität bedeutet in diesem Zusammenhang, daß Organismen auf bestimmten evolutionär relevanten Dimensionen (z. B. Energie) sich so verhalten, daß ihr Nutzen (z. B. die Energieaufnahme bei der Nahrungssuche) verglichen mit ihren Kosten (z. B. der Energieaufwand bei der Nahrungssuche) maximal wird. Sich optimal verhaltende Organismen sollten einen evolutionären Vorteil haben, da ihre Fitneß im Durchschnitt als größer anzunehmen ist als Tiere, die sich suboptimal verhalten.
Ein Bereich von besonderem Interesse in der Verhaltensökologie ist die Nahrungssuche und –aufnahme von Tieren („foraging“). Dabei spielt sowohl das Nahrungsangebot als auch die Konkurrenz zwischen Tieren eine bestimmte Rolle. Oftmals liegt das Nahrungsangebot in einer gegebenen Umwelt an bestimmten Plätzen geklumpt vor, während an anderen Stellen des Habitats nur sehr wenig oder gar keine Nahrung für das nahrungssuchende Tier zu finden ist („patchy environment“). Bei
mehreren nahrungssuchenden Tieren im gleichen Habitat kommt es daher zu einer Konkurrenzsituation an diesen Nahrungsquellen („patches“). Fretwell und Lucas (1970) schlugen ein einfaches Modell - die ideal freie Verteilung - zur Vorhersage vor, wie sich die konkurrierenden Tiere auf mehrere Nahrungsquellen verteilen sollten, wenn sie sich optimal verhalten. Die Grundannahmen des Modells lauten: -
Gleich kompetente Individuen stehen im Habitat im Wettbewerb miteinander.
- Das Habitat enthält mehrere Nahrungsquellen, die sich im Fitneßwert für die Individuen unterscheiden.
- Die Konkurrenten haben die freie „Wahl“ zwischen den Nahrungsquellen ohne Kosten oder Beschränkungen hinsichtlich einer Nahrungsquelle,
- Der Fitneßwert jeder Nahrungsquelle sinkt mit der Zunahme der Individuen, die sie nutzen. Oft wird aus mathematischen Gründen angenommen, daß dieser Zusammenhang
streng monoton ist (Milinski & Parker, 1993).
Aus diesen Annahmen wurden folgende Vorhersagen abgeleitet, wenn sich Tiere gemäß der ideal freien Verteilung verteilen: - Alle Individuen erzielen den gleichen Nutzen, gleichgültig an welcher Nahrungsquelle sie sich befinden,
- Die durchschnittliche Nutzenrate ist für alle Nahrungsquellen gleich (Milinski & Parker, 1993).
Mathematisch lassen sich diese Überlegungen in einer Gleichung zusammenfassen: Q1 / n1 = Q2 / n2 = ... = Qk / nk = c. oder Q1 / Q2 = n1 / n2 für zwei Nahrungsquellen, wobei Qk die Ressourcenmenge und nk die Anzahl der Konkurrenten an Quelle k symbolisieren. Das mathematische Modell der ideal freien
Verteilung wurde an mehreren Tierarten untersucht, wobei es oft als eine gute Annäherung an die empirischen Daten gewertet wurde (siehe Parker & Sutherland, 1986, für einen Überblick). An Menschen wurden die Vorhersagen der ideal freien Verteilung bisher nur in einer Studie von Sokolowski, Tonneau und Freixa i Baqué (1999) experimentell untersucht. Diese Studie zeigte wiederum, daß die Vorhersagen annähernd mit den empirischen Daten übereinstimmten. Die
strukturelle Ähnlichkeit zwischen Matching Law und ideal freier Verteilung
führte zu Vermutungen hinsichtlich einer möglichen Zusammenführung beider Modelle (vgl. Gray, 1994). Dabei ist jedoch zu bedenken, daß eine strukturelle Ähnlichkeit zweier Modelle nicht notwendigerweise bedeutet, daß sie auch funktionell ähnlich oder gar gleich sind (Kennedy & Gray, 1993). Funktionelle Gleichheit wäre dann gegeben, wenn die IFD dadurch zustande käme, daß sich alle Individuen gemäß des Matching Laws verhielten. Vermutungen hinsichtlich funktioneller Gleichheit können sich auf einige Parallelen zwischen Faktoren beziehen, die für das Matching Law und für die IFD bedeutsam sind. So können die aus der Verhaltenstheorie
Skinners bekannten Verstärkungen mit den Ressourcen der IFD, speziell den Nahrungseinheiten, gleichgesetzt werden.Den Nachweis funktioneller Gleichheit wurde meinen Kenntnissen nach bis zum Zeitpunkt der Arbeit nicht erbracht. Dies war nicht überraschend, da sowohl aus dem Matching Law als auch aus dem Modell der IFD nicht
hervorgeht, wie der jeweilige Gleichgewichtszustand erreicht wird. Beide Modelle geben nur an, welche Verteilung – beim Matching Law des individuellen Verhaltens, bei der IFD des Gruppenverhaltens – gelten sollte, wenn das Verhalten in einen stabilen Zustand übergegangen ist. Es wurden zwar schon zahlreiche Versuche unternommen, einen Mechanismus zu finden, der zu „matching“ führt, jedoch besteht nach wie vor Unklarheit, welcher dieser Mechanismen zutrifft oder ob einer der gesuchte ist (für
Überblicke siehe Williams, 1994, 1988). Auf die oben genannte Analogie zwischen beiden Modellen wurde in einigen Studien hingewiesen (z. B. Gray, 1994; Baum & Kraft, 1998). Gray (1994) hat in einer quasiexperimentellen Studie mit einer Gruppe von Haussperlingen (Passer domesticus), die in einer speziell angelegten Voliere mit zwei Nahrungsquellen konfrontiert waren, Belege für das Zutreffen sowohl von ideal freier Verteilung als auch des Matching Laws gefunden. Ebenso
untersuchten Baum und Kraft (1998) an Tauben der Rassen White Carneaux und Silver King (Columba livia), ob sich das Gleichgewicht der ideal freien Verteilung dadurch ergibt, daß sich jedes Individuum gemäß des Matching Laws verhält. Sie fanden heraus, daß die Verteilung der Vögel zwar der ideal freien Verteilung nahe kam, schlußfolgerten aber, daß diese Verteilung nicht darauf zurückzuführen ist, daß sich jedes einzelne Tier gemäß des Matching Laws verhält. Allerdings führten Baum und
Kraft (1998) an, daß die Annahme gleich kompetenter Individuen verletzt gewesen sein könnte. Außerdem erhoben Baum und Kraft (1998) nicht die tatsächliche Nahrungsaufnahme jedes einzelnen Tieres, so daß sie nicht abschließend Aussagen darüber treffen konnten, ob sich die Tauben gemäß des Matching Laws verhielten. Vor diesem Hintergrund habe ich in meiner Diplomarbeit eine mathematische Integration von ideal freier Verteilung und Matching Law sowie eine experimentelle Überprüfung
an Versuchspersonen unternommen. Das mathematische Vereinigungsmodell
sollte sowohl die Annahmen der ideal freien Verteilung berücksichtigen als auch von der Annahme ausgehen, daß das Gleichgewicht der ideal freien Verteilung durch das Matching Law zustande kommt. Die Ergebnisse der experimentellen Überprüfung schienen jedoch weder das Vereinigungsmodell noch das Matching Law zu bestätigen. Da die interne Validität des Experiments nicht eingeschränkt erschien, habe ich nach theoretischen Erklärungsversuchen gesucht. Diese Versuche führten zu einer Berücksichtigung eines zusätzlichen Faktors in einem Alternativmodell, das post hoc das Verhalten der menschlichen deutlich besser beschreiben konnten als die a priori vermuteten Modelle. Da im Experiment erstmals menschliches Verhalten in Gegenwart von Konkurrenten auf individueller Ebene mit dem Matching Law untersucht wurde und die Ergebnisse auf keine überzeugenden Übereinstimmungen hinwiesen, sondern sich alternative Erklärungen des Verhaltens anboten, zog ich den Schluß, daß weitere Experimente zur Klärung dieser Forschungsfrage durchzuführen. Sie sollten dem Zweck dienen, die Ergebnisse sowohl zu replizieren als auch durch Verwendung erweiterter Versuchsbedingungen, Verstärkerarten und Versuchsteilnehmer zu generalisieren.
Literatur Baum, W. M. & Kraft, J. R. (1998). Group choice: Competition, travel, and the ideal free distribution. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 69, 227-245.Fretwell, S. D. & Lucas, H. L., jr. (1970). On territorial behavior and other factors influencing habitat distribution
in birds I. Theoretical development. Acta Biotheoretica, 19, 17 – 36. Gray, R. D. (1994). Sparrows, matching, and the ideal free distribution: can biological and psychological approaches be synthesized? Animal Behaviour, 48, 411 – 423. Kennedy, M. & Gray, R. D. (1993). Can ecological theory predict the distribution of foraging animals? A critical analysis of experiments on the Ideal Free Distribution. Oikos, 68, 158-166. Krebs, J. R. & Davies, N. B. (1996). Einführung in die Verhaltensökologie. Berlin: Blackwell. ISBN: 3826330463 Milinski, M. & Parker, G. A. (1993). Competition for ressources. In J. R. Krebs & N. B. Davies (Eds.), Behavioural Ecology: An evolutionary approach (3rd
ed., 137-168). London: Blackwell.Parker, G. A. & Sutherland, W. J. (1986). Ideal free distributions when individuals differ in competitive ability: phenotype-limited ideal free models. Animal Behaviour, 34, 1222-1242. Sokolowski, M. B. C., Tonneau, F., & Baqué, E. F. (1999). The ideal free distribution in humans: An experimental test. Psychonomic Bulletin and Review, 6, 157-161. Walter, O. (2002). Versuch einer Synthese
von Matching Law und ideal freier Verteilung. Mathematisches Modell und empirischer Test. Kiel: Institut für Psychologie (unveröffentlichte Diplomarbeit). Williams, B. A. (1988). Reinforcement, choice, and response strength. In R. C. Atkinson, R. J. Herrnstein, G. Lindzey, & R. D. Luce (Eds.), Stevens´ handbook of experimental psychology (2nd ed., 167-244). New York: Wiley. Williams, B. A. (1994). Reinforcement and Choice. In N. J. Mackintosh (ed.),
Animal learning and behavior. Handbook of Perception and Cognition. Second Edition (81-110). San Diego: Academic Press . |