| Richard J. Herrnstein wurde 1930 in eine Mittelschichtfamilie in New York City hineingeboren. Seine Eltern waren ungarische Einwanderer, die sich ihren Lebensunterhalt mit einfachen Arbeiten verdienten. Herrnsteins erste Leidenschaft war die Musik. Als Violinist erreichte er ein solch hohes Niveau, das er für ein Studium an der Music and Art High School in New York zugelassen wurde. Allerdings nahm in der
College-Zeit sein Interesse für die experimentelle Psychologie mehr und mehr zu, so daß er nach seiner Graduierung vom City College of New York 1952 nach Harvard ging, um Psychologie zu studieren. In Harvard interessierte sich Herrnstein zunächst für die akustische Psychophysik von S.S. Stevens. Doch auf dem anderen Ende des gleichen Flurs lag Skinners
“Pigeon Laboratory”, dem er mit Beginn seines 2. Jahres in Harvard 1953 als Graduierter beitrat. 1955 schloß er sein Promotionsstudium in Harvard ab und diente bis 1958 in der Armee. Anschließend nahm er eine Stellung als “assistant professor” unter Skinner in Harvard an. Im Gegensatz zu Skinner, der v.a. qualitative experimentelle Forschung betrieb, versuchte Herrnstein experimentelle Befunde zu quantifizieren und beschrieb 1961 erstmals die von ihm
gefundene Beziehung zwischen Reaktions- und Verstärkungsraten an simultanen Intervallverstärkungsplänen, die als “Matching Law”
bekannt wurde. Da sich Skinner seit den 60er Jahren mehr und mehr aus der Grundlagenforschung zurückzog, wurde Herrnstein die treibende Kraft in Skinners “Pigeon Lab” und zog eine Reihe von bedeutenden Schülern an, so Howard C. Rachlin, William M. Baum, John E. R. Staddon und Ben Williams. Herrnstein war aber nicht nur an den Forschungen im “Pigeon Lab” interessiert, sondern arbeitete auch auf anderen Gebieten. So schrieb er zusammen mit Boring ein Buch zur Geschichte der Psychologie. Für seine vielfältigen Arbeiten erhielt er 1967 eine zeitlich unbefristete Anstellung in Harvard.
Eines der Themen, das Herrnstein immer wieder beschäftigte, war Intelligenz. 1971 veröffentlichte er einen Artikel in der “Atlantic Monthly”
über Intelligenz und seine Korrelate. Darin beschrieb er eine Argumention, die Intelligenz, Vererbung, den Sozialstatus und demokratische Institutionen miteinander verband. Sie lautete, daß die genetischen Unterschiede zwischen Menschen den sozialen Status immer stärker beeinflussen, wenn die individuellen Chancen größer und der Status der Herkunftsfamilie weniger bedeutsam werden. Dieser Artikel führte zu einer heftigen Kontroverse und zu zahlreichen Anfeindungen innerhalb und außerhalb Harvards, da viele die darin enthaltene Argumentation als mit rassistischen Untertönen besetzt wahrnahmen. Herrnstein ließ sich jedoch davon nicht in seiner Auffassung beirren und arbeitete den Artikel zu einem Buch
(“IQ in the Meritocracy”) aus. Die Ironie an dieser Affäre war - wie Herrnstein betonte - , daß er sein Leben lang politisch gesehen ein Linker war. 1974 übernahm Herrnstein von Skinner die A. Edgar Pierce Professur in Harvard und wurde 1975 Herausgeber der wichtigen Fachzeitschrift “Psychological Bulletin”. Er schrieb zusammen mit Roger Brown ein Buch über Allgemeine Psychologie und mit James Q. Wilson ein Buch über Kriminalität (“Crime and Human Nature”). Auf dem
Gebiet der experimentellen Verhaltensanalyse arbeitete er seine Matching-Theorie aus, deren zentrale Annahmen und Gleichungen in drei Artikeln im Laufe der 70er Jahre veröffentlicht wurden. Weitere Arbeiten beschäftigten sich mit der Anwendung dieser Theorie auf ökonomisches Verhalten sowie drogenabhängiges Verhalten. Eine Sammlung ausgewählter Aufsätze erschien posthum unter dem Titel “The Matching Law - Papers in Psychology and Economics”
und wurde von seinem Schüler Howard Rachlin herausgegeben. In den 90er Jahren widmete sich Herrnstein wieder der Intelligenz-Thematik, diesmal in Zusammenarbeit mit Charles Murray. Bei der Drucklegung des Buches “The Bell Curve”
erfuhr er, daß er Lungenkrebs im Endstadium hatte. Eine Woche nach der Auslieferung des Buches an die Buchläden starb Herrnstein am 13. September 1994. Die nach seinem Tod wiederum aufflammender Kontroverse um seine Argumentation um die Intelligenz hat er nicht mehr erlebt. |