Kognitive Landkarten
[Home]
[Verhaltenstheorie]
[kognitiver Behav.]

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesen Themen? [zum Forum]

1947 hielt Tolman eine Vorlesung anläßlich des 34. Jahrestages der Fakultät an der University of California in Berkeley. Darin beschrieb er zahlreiche Experimente, die seiner Meinung nach seinen Standpunkt untermauerten, daß Verhalten nicht durch S-R-Theorien wie die von Hull erklärt werden könne, sondern daß Organismen eine Repräsentation des Raumes bilden, während sie sich in ihm bewegen. Zwar ging er auch davon aus, daß Organismen mit zahlreichen Reizen konfrontiert werden, wenn sie sich in einem Raum bewegen, doch sah er das Gehirn als ein Organ an, das in starkem Maße die Reize auswählt, die es verarbeitet. Im Gegensatz zur Auffassung, daß sich Reiz-Reaktions-Verbindungen passiv bilden und daraus passiv Bewegung resultiere, war Tolmans Meinung, daß das Gehirn die von ihm ausgewählten Reize elaboriert verarbeitet und so die räumliche Repräsentation entsteht, die er kognitive Landkarte (“cognitive map”) nannte. Diese Karte, die Wege und Beziehungen zwischen Umweltobjekten abbildet, soll nach Tolman die Verhaltensweisen bestimmen, die der Organismus zeigt.

Unter denjenigen Experimenten, die Tolman für seinen Standpunkt anführte, waren solche zum sogenannten “latenten Lernen”. Latentes Lernen bezeichnet den experimentellen Befund, daß Versuchstiere, die z.B. ein Labyrinth durchlaufen, ohne anfangs Futter darin vorzufinden, im Vergleich zu Tieren, die von Anfang an Futter darin vorfinden, nur wenige Versuchsdurchgänge lang schlechtere Leistungen im Finden der Futterbox zeigten, wenn sie später selbst mit Futter belohnt werden. Auf ein anderes Experiment, das oft für Tolmans Konzept der kognitiven Landkarten angeführt wird, bezieht sich die rechtsstehende Abbildung (nach Tolman & Honzik, 1930). In einem Labyrinth mit drei Gängen kann sich die Ratte frei bewegen. Nach einigen Versuchsdurchgängen beobachtet man, daß das Tier meistens den mittleren, direkten Weg vom Start zum Ziel läuft. Dann wird der mittlere Weg bei Punkt A gesperrt und man beobachtet, daß die Ratte v.a. entlang des linken Wegs läuft. In der darauf folgenden Testbedingung versperrt man das Labyrinth bei Punkt B. Die Frage ist, ob die Ratte sofort den rechten Weg entlang läuft oder ob sie einige Durchgänge lang über den linken Weg versucht, das Ziel zu erreichen, obwohl dieser Weg durch die Sperrung bei B auch nicht zum Ziel führt.

Tolman und Honzik (1930) beobachteten, daß die Ratten meistens sofort den rechten Weg wählten und nicht den linken. Dies deuteten die beiden Forscher als Beleg dafür, daß Ratten über so etwas wie kognitive Landkarten besitzen, an denen sie erkennen können, daß nur der dritte Weg zum Ziel führt, wenn das Labyrinth bei Punkt B versperrt ist, .

In den letzten 10 Jahren seines Lebens entwickelte Tolman seine deutlich von Lewins Feldtheorie beeinflußten Ansichten weiter. Er ging nicht nur von kognitiven Landkarten aus, welche die äußere Umgebung des Organismus abbildeten und das “sich verhaltende Selbst” (Behaving Self) beinhalteten, sondern schuf mit dem Konstrukt der Persönlichkeitsstruktur auch ein “inneres” Analogon. Durch Erfahrungen mit der Umwelt erwerben Organismen zuerst kognitive Landkarten und verändern dadurch anschließend ihre Persönlichkeitsstruktur. Die Persönlichkeitsstruktur soll nach Tolman Triebe, Überzeugungen, Werte und Wahrnehmungsbereitschaften umfassen. Tolman nahm sowohl spezifische Triebe als auch einen allgemeinen Trieb an, die entweder eine positive oder eine negative “Ladung” aufweisen können, je nachdem, ob ein Zielobjekt appetitiv oder aversiv ist. Die Metapher der “Ladung” benutzte er auch in Bezug auf Werte und Wahrnehmungsbereitschaften. Überzeugungen stellen dagegen Kanäle dar, über die einzelne Triebe mit dem Zielobjekt verbunden sind, und wurden von Tolman als “wenn, dann”-Regeln konkretisiert.

Eine spätere Veränderung dieser Theorie betraf die Begriffe, mit denen Tolman seine intervenierenden Variablen belegte. Statt “Trieb” sprach er später von “Bedürfnis”, wobei damit wiederum Prozesse gemeint waren, die sich auf bestimmte Ziele bezogen und mit positiven oder negativen Ladungen versehen waren. Die aus der Phase des “zielgerichteten Behaviorismus ” bekannten Begriffe “Mittel-Ziel-Bereitschaften” und “Zeichen-Gestalt-Erwartung” wurden in Überzeugungs-Wert-Matrizen und in Verhaltensräumen integriert. Unter der Überzeugungs-Wert-Matrix verstand Tolman ein Feld von Erwartungen und Mittel-Ziel-Bereitschaften. Während die Überzeugungs-Wert-Matrix übergeordnete Faktoren beinhaltete, wurde der Verhaltensraum durch spezielle Aspekte wie Wahrnehmungen, Gedächtnisinhalte, Schlußfolgerungen hinsichtlich bestimmter Objekte und das sich verhaltende Selbst gebildet, das durch eine bestimmte Umweltsituation und durch eine kontrollierende und aktivierende Überzeugungs-Wert-Matrix hervorgerufen wurde.

Literaturempfehlung:

Tolman, E. C. (1948). Cognitive maps in rats and men. Psychological Review, 55(4), 189-208.


[Kontakt]

 

© 2004-2009 Dr. Oliver Walter. Die Websites www.verhaltenswissenschaft.de und http://people.freenet.de/oliverwalter einschließlich aller ihrer Teile sind urheberrechtlich geschützt. Mit der Öffnung und Nutzung dieser Seiten erklärt der Nutzer sich mit den im Haftungsausschluß bekanntgegebenen Bedingungen einverstanden.